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The 'Turning Point': Ottos politische Radikalisierung

In Hans Falladas Jeder stirbt für sich allein (1947) findet ein wichtiger Wendepunkt statt, als Otto Quangel die Parteiversammlung in der Beamtenkantine besucht. Er tritt ohne politische Interessen die Konferenz ein, und er fokussiert sich nur auf seine Arbeit, seine Familie, und wohin Dollfuß geht. Wenn Otto auf die Parteisitzung geht, schreibt Fallada, „Quangel hat sich auf einen Stuhl ganz nahe an der Tür gesetzt, um beim Schluss der Rede möglichst rasch wieder in seine Werkstatt zu kommen“ (60). Vor dem Treffen denkt er nicht über Politik und Gewalt, und er ist zufrieden damit, zu seiner Routine zurückzukehren.

Aber alles ändert sich als die Parteiversammlung beginnt. Ottos persönliche Gedanken sind in der Beamtenkantine-Szene machen den wesentlichsten Teil des Kapitels aus: sie kommen zum Ausdruck, als er „Achtung!.. Und: Hier sitz ich ja wie unter Mördern“ denkt (62). Otto hinterfragt zum ersten Mal in diesem Kapitel das Nazi-Regime. Vor diesem Abschnitt war Otto nur „ein Zahnrad in der Maschine,“ um von Hannah Arendt zu leihen; Fallada notiert auch vorher „so war es ihm ganz egal, wozu die Kisten dienten“ (57). Bis zu dieser Erkenntnis spielt Otto mit den Nationalsozialisten mit. Danach übernimmt jedoch seine Moral. Er erkennt, dass man nicht untätig herumsitzen kann, wenn der Staat im Krieg unschuldige Menschen ermordet.  

Zusätzlich zu Ottos neuem Weltbild verändert sich Falladas Stil auch auf Seite 62. Die erste Seite konzentriert sich auf Charakterisierung — wo Otto arbeitet, wie gesprächig Otto ist, wie seine Frau heißt, usw. — aber Falladas Fokus wird auf Seite 62 persönlicher. Hier können die Leser*innen Ottos wahre Gefühle erfahren. Zum Beispiel: „Quangels Haltung hat sich gestrafft“ (62). Mit dieser Beschreibung der Körperlichkeit wird Otto weniger robotisch und dadurch sympathetischer. Der Dialog und das emphatische Satzzeichen — „Achtung!…Hier sitz ich ja wie unter Mördern!“ (62) — unterstreichen den privaten Effekt im Abschnitt. Obwohl Fallada in der dritten Person schreibt, nutzt er keine Anführungszeichen; dies produziert den Effekt von freier indirekter Rede — als wären die Leser*innen in Ottos Kopf. Im Gegensatz können die Leser*innen im Kapitel nicht in die Gedanken der Parteimitglieder eindringen, und Fallada unterschiedet daher Otto als menschenwürdiger als die Nazis. 

Ottos neue ideologische Trennung ist auch physisch abgegrenzt; er sitzt allein an der Tür und trägt keine Nazisymbole auf seiner Kleidung. Die Trennung wird auf der Buchseite wiederspiegelt, indem die Wörter „ich“ und  „Mördern“ fern voneinander getrennt vorkommen. Obwohl dies möglicherweise an der deutschen Wortreihenfolge liegt, weist auch der nächste Satz das gleiche Phänomen auf; „Ich werde mich auch von diesen Brüdern nicht kriegen lassen (62)“ teilt „ich“ und „Brüdern“ auf der Seite unter, damit Fallada unterstreichen kann, dass Otto die Nazi-Brüderschaft ablehnt. Der Fokus Falladas auf das „ich“ wird durch den ganzen Absatz fortgesetzt, und er endet dreimal mit „ich…nicht.“ Otto denkt, „das tu ich nicht,” “ich mach bei so was nicht mit,” und “Ich will nicht“ (62). Auch hier unterscheidet sich der Fokus auf „ich“ vom Anfang des Kapitels.

„Mord“ ist kein häufiges Wort in Jeder stirbt für sich allein, daher erregt es die Aufmerksamkeit des Leser*innens, wenn es verwendet wird. „Mord“ erscheint nur zweimal in „Kapitel 6“ und nur einmal in „Kapitel 20.“ Wenn Otto also „Hier sitz ich ja wie unter Mördern“ sagt, lässt er seine nachträgliche Karte ahnen, die er vermutlich nach dem Meeting zu schreiben beginnt. Auf der Karte, die der Schauspieler Max Harteisen findet, steht ein ähnlicher Satz: „Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet“ (203). Die gemeinsame Wortwahl verbindet im Text die zwei Passagen. Die Gemeinsamkeit zeigt, wie dieser Moment — in dem Otto erkennt, dass die Nazis Mörder sind — unmittelbar zu Ottos Entscheidung führt, in Berlin die revolutionären Karten zu erschaffen und zu verbreiten. Weil ich den Kontext des Buchs (geschrieben nach dem Zweiten Weltkrieg) gewusst habe, muss das Buch die erloschene Regime untergraben. Also habe ich erwartet, dass Otto gegen die Nazis kämpfte. Ich habe jedoch nicht erwartet, dass Otto so direkt zu sich selbst spricht, weil er als Figur etwas passiv ist. 

Ottos Erkenntnis verändert die Geschichte, weil es ihm erlaubt, später im Kapitel auf der Parteiversammlung aufzustehen, Dollfuß zu konfrontieren, und sich den „braunen Redner[n]“ entgegenzustellen (65). Ohne die Erkenntnis, dass die Nazis Mörder sind, würde Otto seinen Karten nicht schrieben. Otto verlässt selbstbewusst die Versammlung und denkt dabei, „Und sie haben keinen Verdacht, ich bin bloß ein alter Trottel für die!... Nun bin ich bloß neugierig, was ich jetzt anfange” (67). Sein nächster Schritt: Er beginnt vermutlich die radikalen Flugblätter zu schreiben und verteilen. Nach dem Parteitreffen hat Otto den Hass gegen die Nazis und ist zuversichtlich, dass er sich gegen den Krieg ohne ernsthafte Auswirkungen äußern kann. Hätte er also nicht an diesem Treffen teilgenommen und die Erkenntnis nicht gehabt, dass die Nazis Mörder sind, so hätte er nicht den Anreiz gehabt, die Karten zu schreiben. Wenn er die Karten nicht gemacht hätte, hätte Max Harteisen eine Exemplar nicht gefunden. Und wenn die Polizei Otto nicht verhaftet hätte, wären Otto und Anna nicht hingerichtet worden. Zusätzlich wenn Otto allerdings in der Partei-Sitzung die Erkenntnis nicht gehabt hätte, hätte er nicht die Chance gehabt, anderen zu helfen und die Brutalität der Nazis aufzuhalten.