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Jacob LaVoie
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Prof. Kathryn Starkey
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1. Einleitung

diu vrouwe an rehter zît genas
eins suns, der zweier varwe was,
an dem got wunders wart enein:
wîz und swarzer varwe er schein (I, 57, V.15–18) 1

Gleich zu Beginn der Parzival-Erzählung wird der Leser aufgefordert, eine
verborgene Textaussage aus der Geschichte herauszulesen. Im Prolog formuliert Wolfram
von Eschenbach verschlüsselte philosophische Botschaften und fügt theologische
Anschauungen ins Elsterngleichnis ein. Noch dazu legt Wolfram anhand dieses sich im
Prolog befindenden Elsterngleichnis dem Leser nahe, dass die Dialektik der traditionellen
Licht- und Dunkelheitsmetaphorik unzureichend sei, um die komplizierte Wahrheit unserer
Existenz aufzufassen. 2 Im Zusammenhang mit dem bildhaften Elsterngleichnis verkörpert
Feirefîz, der Halbbruder der Hauptfigur, Parzival, wegen seiner schwarz-weißen
Schachbretthaut eben jene Metapher. Da Feirefîz in der ursprünglichen von Chrétien de
Troyes verfassten Parzival-Geschichte nicht vorkommt, stellt sich die Frage, worauf Wolfram
von Eschenbach in seiner Version der Geschichte mit der Erfindung dieser Figur abzielt?
Was für eine Rolle hat Feirefîz bei der Gralssuche? Warum entwickelt sich diese Figur im
Laufe der Erzählung anscheinend nicht? Was für eine Bedeutung hat seine schwarz-weiß
gefleckte Haut? Sieht Wolfram eine größere religiöse Bedeutung für die Figur des Feirefîz
vor? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen, um drei Argumente im Hinblick auf
die Rolle dieser Figur vorzubringen. Im ersten Teil dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der
Rolle des Feirefîz in Bezug auf die Entwicklung seines Bruders bei seiner Gralssuche. Damit

1 Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe von Wolfgang Spiewok: Wolfram. Parzival:
Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Band 1: Buch 1-8: mit einem Nachwort. Übersetzt von Wolfgang Spiewok,
Bd. 1, Reclam, 2008 und Wolfram. Parzival: Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Band 2: Buch 9-16: mit
einem Nachwort. Übersetzt von Wolfgang Spiewok, Bd. 2, Reclam, 2008.
2 Vgl. Wilson, H. B. “The Symbolism of Belakâne and Feirefîz in Wolfram’s Parzival.” German Life and
Letters, vol. 13, no. 2, Jan. 1960, pp. 94–105, Hier S. 100 https://doi.org/10.1111/j.1468-0483.1960.tb01316.x.

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möchte ich zeigen, dass Feirefîz nach seinem Auftritt im fünfzehnten Buch der Parzival-
Erzählung der Gralssuche einen hohen Stellenwert verliehen hat. Um diesen Argument zu
begründen, wird der Zweikampf zwischen Parzival und Feirefîz analysiert, um zu zeigen,
dass Feirefîz Parzival die Gralsberufung ermöglicht, indem er ihm die letzte zur
Gralsberufung nötige Morallehre erteilt. Diese Arbeit argumentiert, dass Parzival
Gottvertrauen nach dem Kampf mit seinem Halbbruder lernt, weil sich Parzival erstmals in
einer Situation, in der er völlig wehrlos ist, in der Erzählung befindet. Im Anschluss daran
zeigt Feirefîz durch seine Schonung des Lebens eines unbewaffneten Gegners und durch sein
Entgegenkommen vollendete Ritterschaft und Demut, was Parzival zuvor nicht leisten
konnte. Im zweiten Teil handelt diese Arbeit von der Verbindung zwischen Feirefîz, Parzival
und dem sich im Prolog befindenden Elsterngleichnis, um das zweite Argument
vorzubringen, dass sich das sich im Prolog befindende Elsterngleichnis unterschiedlich auf
diese Figuren bezieht. Denn die schwarz-weiße Metaphorik des Elsterngleichnis stellt den
innerlichen Konflikt des Parzival dar, während dieselbe Metaphorik sich völlig anders auf
Feirefîz bezieht. Abschließend befasse ich mich im dritten Teil dieser Arbeit mit der
symbolischen Rolle des Feirefîz in religiöser Hinsicht. Im Kern dieser Argumentation steht
die mögliche Parallelität der Symbolik der Figur des Feirefîz zu mittelalterlichen religiösen
Auffassungen. Denn die bei Feirefîz abgebildete Licht- und Dunkelheit-Metaphorik
entspricht der Mystik wichtiger Theologen wie z.B. St. Bernard de Clairvaux und Alain de
Lille, die in ihren Predigten und Gedichten philosophische und religiöse Widersprüche
angesprochen haben.
2. Forschungsstand
Die Symbolik des den Parzival einleitenden Elsterngleichnisses läßt [sichttps://doi.org/10.1007/BF03396371.

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Metaphorik eine Menge von Deutungen bzw. ein breites Spektrum an religiösen und
philosophischen Interpretationen anbietet, könnte der Bezug auf die Symbolik dieser zweien
Figuren kontextabhängig erklärt werden.
3. Teil Eins: Rolle des Feirefîz bei der Gralssuche
Vor seinem Auftritt in die Parzival-Geschichte hat der Leser aus drei Textstellen im
Text Kenntnis von der Figur des Feirefîz. Jedes Mal informiert jede Textstelle den Leser,
dass Feirefîz andersartig und einzigartig sei. Bei seiner Geburtsszene beschreibt Wolfram ihn
sogar als ein Wunder. (Vgl. Pz. I, 57, V. 17) Während die Exotik dieser Figur sich auf seine
schachbrettartige Hautfarbe bezieht, wird seine ritterliche und höfische Größe bzw. seine
Einzigartigkeit von jeder Figur und von Wolfram selbst im Verlauf der Geschichte betont.
Damit kann Feirefîz die kulturelle und religiöse Kluft zwischen ihm und der Gralsgesellschaft
bzw. der christlichen Welt überbrücken. 14
Feirefîz wächst vaterlos im Königreich seiner Mutter, der schönen afrikanischen Königin
Belakâne, heran, weil sein Vater, Gahmuret, seine Familie vor der Geburt seines Sohnes
verlassen hat. Seiner im dritten Monat schwangeren Gemahlin hinterlässt Gahmuret einen
Brief, in dem er seinen unerwarteten Entschluss zu erklären versucht. In Kenntnis der
Tatsache, dass seine Gattin schwanger mit seinem Kind ist, sagt er in seinem Brief den
Schicksalsweg eines von ihm wahrscheinlich erwünschten zukünftigen Sohnes voraus. Er
behauptet, dass dieser von ihm erträumter Sohn aufgrund seiner Abstammungslinie
außergewöhnliche Stärke besitzen wird. (Vgl. Pz. I, 55, V. 28-30 / 56, V. 1)
Neben seiner Erklärung, warum er Belakâne verlässt, stellt Gahmuret in diesem Brief
tatsächlich die Weichen für das Schicksal bzw. die Einzigartigkeit seines ersten Sohnes. In
demselben Brief lässt er auch Anweisungen für Belakâne, dass sie ihren möglichen Sohn über

14 Vgl. Gray, 1974, S. 369.

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seine ritterliche Herkunft belehren sollte. Daher lässt sich vermuten, dass sich Feirefîz sich
im Gegensatz zu Parzival seiner mächtigen und ritterlichen Abstammungslinie schon als
Kind sehr bewusst ist. Der US-amerikanische Germanist Clayton Gray, Jr. schreibt in seinem
Artikel „The Symbolic Role of Wolfram’s Feirefiz“, „Although Feirefiz grows up in a
heathen environment, he does not want for knightly training“ 15 Aus diesem Grund kann man
zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens scheitert Feirefîz an Ritterlichkeit nicht, da er vom
Kindesalter an die ritterlichen Tugenden gelernt hat und daher sich wie ein perfekter Ritter
benimmt. Zweitens hat er aus ritterlicher Tugend Respekt für seinen Vater, obwohl dieser
seine Familie verlassen hat. Später erwähnt Feirefîz sogar, dass er seinem Vater trotz der
emotionalen Misshandlung zu Belakâne noch kennenlernen möchte. (Vgl. Pz. II, 750, V. 22-
30) Aus diesem Respekt versucht er als Erwachsener in der Geschichte Gahmuret in Europa
nachzuspüren. Dies zeigt die Versöhnlichkeit des Feirefîz, da er später die Umstände erzählt,
unter denen seine Mutter verstarb. Und zwar grämt Belakâne sich zu Tode, nachdem sie ihren
Gatten verliert. Ungeachtet dessen, dass Gahmuret des Sterbens von Belakâne schuldig ist,
kann Feirfîz über diesen Schmerz hinwegsehen.
Zwischen seiner Geburtsszene und seinem ersten Auftritt wird Feirefîz wegen des
Scheiterns seines Halbbruders Parzivals an seiner Gralssuche von der magischen Figur
Cundrie erwähnt. (Pz. I, 317, V. 4) Nachdem Cundrie Parzival verflucht, stellt sie Feirefîz als
Beispiel des idealen Ritters dar. (Vgl. Pz. I, 317, V. 5-6) Unter dem Gesichtspunkt des
damaligen christlichen Ethnozentrismus lässt es sich denken, dass der Vergleich zu Feirefîz
angesichts seines Heidentums eine harte Schelte für Parzival darstellt. Clayton Gray, Jr.
schreibt jedoch, dass „as is generally the case in the medieval epic, heathen knighthood does
not differ appreciably from Christian knighthood.“ 16 Cundrie behauptet, dass Gahmuret

15 Gray, 1974 S. 366

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seinem erstgeborenen Sohn, Feirefîz, seinen treuen, kampffähigen, starken und ritterlichen
Charakter vererbt hat und Parzival diese Eigenschaften anhand seines Scheiterns in der
Gralsburg nicht geerbt hat. (Vgl. Pz I, 317, V. 7-8) Manuela Schotte betont die Wichtigkeit
dieser Rede von Cundrie, weil sich dadurch „eine geraffte Vorgeschichte [ergebehttps://doi.org/10.1007/BF03396371.
24 Caples, 1975, S. 545.
25 Vgl. Egger, 2020, S. 34.

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Ritterschaft und dem Gottesglauben eines Gralskönigs entspricht. Der deutsche Autor und
Mediävist Peter Wapnewski hebt hervor, dass „es sich bei dieser Auseinandersetzung um
Parzivals letzte, größte und schwerste Prüfung handelt.“ 26 Der Mediävist C. B. Caples fügt die
spirituelle Deutung hinzu „Most modern critics accept Parzival’s fight with Feirefiz as in
some sense really a confrontation and struggle of Parzival with himself.” 27
Beim ersten Anblick vergeuden die Brüder keine Zeit und üben sich im Zweikampf
auf Leben und Tod. Im Laufe der Geschichte ist Feirefîz der erste Gegner, den Parzival nicht
im Kampf besiegen kann. 28 Wie an dem Text deutlich wird, beflügelt die Minne beide Brüder
in der Auseinandersetzung, wobei sie einander ebenbürtig sind. (Vgl. Pz. II, 740 V. 7-20)
Plötzlich verliert Parzival jedoch die Oberhand im Kampf, da das Schwert, das Parzival in der
Hand zum Parieren hält, zerspringt. Damit findet Parzival sich wehrlos auf dem Erdboden
wieder. Diese Situation, in der Parzival sich am Ende des Kampfes befindet, repräsentiert das
erste Mal, dass Parzival einen Zustand der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins erlebt. In
diesem Moment erfährt er echte Verlorenheit und braucht Gottes Rettung zum Überleben
dieser Auseinandersetzung. Zuvor hat Parzival gedacht, dass Gott nicht will, dass er glücklich
sei. In diesem Moment aber braucht er den Schutz Gottes und Wolfram zufolge vertraue er
sein Leben Gott an.
Demzufolge behütet Gott den Held, weil Feirefîz den Angriff auf einen
unbewaffneten Gegner ablehnt und einen Remis anbietet. (Vgl. Pz. II, 744, V. 25-30 und 745,
V. 1-6) Außerdem beweist er seine Demut, indem er die Kampffähigkeit des Parzival lobt.
(Vgl. Pz. II, 745, V. 14-20) Feirefîz sagt sogar, dass, wenn das Schwert nicht zersprungen

26 Wapnewski, Peter (1955): Wolframs Parzival. Studien zur Relgiosität und Form. Heidelberg: Carl Winter. S.
135 zitiert nach Egger, Daniela. wîz und swarzer varwe er schein - Nuancen der Feirefiz-Darstellung.
Universität Wien, 2020. S. 32.
27 Caples, 1975, S. 543.
28 Vgl. Swinburne, 1956, S. 196.

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wäre, hätte Parzival ihn vielleicht besiegt. (Vgl. 745, V. 5-6) Zu der Zeit war es Sitte, dass
der Sieger das Recht hatte, den Besiegten nach seiner Identität zu fragen. 29 Feirefîz fragt nach
Parzivals Namen, woraufhin dessen Reaktion leider seiner gewöhnlichen, nicht vollendeten,
ritterlichen Handlungsweise entspricht. Man könnte sagen, Parzival benimmt sich wie ein
schlechter Verlierer, da er zunächst Feirefîz trotz seines Entgegenkommens nicht vertraut.
Feirefîz verhält sich jedoch ehrenhaft, indem er sich zuerst vorstellt, obwohl Parzival
angesichts seines Verlusts verpflichtet sein sollte, sich zuerst zu erkennen zu geben. Parzival
erkennt den Namen seines Bruders doch glaubt er nicht, dass der Heide tatsächlich sein
Bruder sei. Dann bittet Feirefîz ihn um die Beschreibung diesen Bruders namens Feirefîz.
Nachdem Parzival die Zweifarbigkeit seines Bruders erwähnt, ruft Feirefîz aus lauter Freude,
dass er sein Bruder sei. Daraufhin fordert Parzival ihn auf, sein Haupt zu entblößen, und
versichert ihm, dass er ihn nicht überfallen würde, nachdem sich der Heide den Helm absetzt.
Feirefîz zeigt seine Kühnheit, indem er behauptet, er fürchte keinen Angriff. Zudem erinnert
er Parzival daran, dass er sein Schwert noch in der Hand hält. Möglicherweise will er seine
Tapferkeit noch stärker betonen und wirft sein Schwert weg, um gleiche
Wettbewerbsvoraussetzung zu schaffen. (Vgl. Pz. 747 und 748) Wolfram beschreibt dieses
Ereignis als „die wertvollste, schönste Entdeckung seines [Parzivalshttps://doi-org.stanford.idm.oclc.org/10.1007/978-3-476-05091-5_3 zitiert nach Cessari, Michela Fabrizia. Der
Erwählte, das Licht und der Teufel: eine literarhistorisch-philosophische Studie zur Lichtmetaphorik in
Wolframs “Parzival.” Universitätsverlag C. Winter Heidelberg GmbH, 2000. S. 2.
35 Vgl. Cessari, Michela Fabrizia. Der Erwählte, das Licht und der Teufel: eine literarhistorisch-philosophische
Studie zur Lichtmetaphorik in Wolframs “Parzival.” Universitätsverlag C. Winter Heidelberg GmbH, 2000. S.
2.
36 Vgl. Nellman, E. in: Wolfram von Eschenbach, Parzival, nach der Ausgabe von K. LACHMANN revidiert
und kommentiert von E. NELLMAN, 2 Bde. (Bibliothek des Mittelalters 8/1, 8/2), Frankfurt/M. 1994, hier Bd.
2, S. 445. Zitiert nach Ohlenroth, Derk. “Wil Ich Triuwe Vinden …? Wolframs Widerpart Im ’Parzival’-
Prolog.” Zeitschrift Für Deutsches Altertum Und Deutsche Literatur, vol. 137, no. 1, 2008, pp. 28–56. JSTOR.
S. 28.

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Der Prolog legt die Vermutung nahe, Wolfram wolle ebenfalls das Exempel
eines ‚guten Sünders‘ nach dem Modell der Heiligenerzählung statuieren, an
dem die Unerforschlichkeit der göttlichen Gnade sowie deren Vorliebe für
‚gute‘, zugleich aber auffällig hartnäckige Sünder demonstriert werde. 38
In dieser Hinsicht erfüllt Parzival die Anforderung an einen guten Sünder, da er trotz seiner
Todsünden, die er im Verlauf der Erzählung begangen hat, und seines Scheiterns bei der
Gralssuche einen endgültigen Erfolg erzielt. Daraufhin erklärt Cessari weiter, dass das
Elsterngleichnis einen Menschentypus vorstelle, „dem beide Komponenten, sowohl der
zwîvel als auch sein Gegenteil, innewohnen und der dennoch des Heils teilhaftig ist[.https://doi.org/10.1515/bgsl.2001.2001.123.211.
56 Caples, 1975, S. 548

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bleibt, so lange es ohne Gott und wider Gott geschieht.“ 57 H. B. Wilson fügt hinzu, „In view
of the medieval fondness for symbolism, it is highly probable that the poet intended to invest
them with some deeper meaning.“ Infolge dieser Aussagen kann man davon ausgehen, dass
Wolfram der Figur des Feirefîz eine religiöse Bedeutung zugeschrieben hat. Und zwar besitzt
Feirefîz das Vermögen, Widersprüche in unserer Welt zu lösen, dar. 58 Die „parrerierte“ 59
Eigenschaft seiner Zweifarbigkeit 60 ist dem christlichen widersprüchlichen Gottesbild bzw.
der Trinität ähnlich. Das Christentum unterscheidet sich von anderen Religionen, indem es
Gott gleichzeitig als überweltlich und weltimmanent erachtet. 61 Darüber hinaus ist die heilige
Dreieinigkeit Gottes der Gegenstand vieler Erörterungen, da das Konzept als ein Widerspruch
aufgefasst werden kann. Im Folgenden geht diese Arbeit den religiösen Bedeutungen des
Feirefîz nach.
In seinem Artikel zeigt H. B. Wilson den Zusammenhang zwischen den Denkformen
von Wolfram und Theologen wie z.B. Saint Bernhard von Clairvaux. 62 Der oben genannte
Widerspruch der Farbedialektik basiert sich auf der Verzahnung der Farbe mit der Gestalt. In
seiner Predigt äußert Saint Bernhard von Clairvaux seine Meinung dazu:
Propter simplices dico, qui inter colorem et formam discernere non
noverunt, cum forma ad compositionem pertineat, nigredo color sit. Non
omne denique quod nigrum est continuo deforme est. Nigredo, verbi
causa, in pupilla non dedecet; et nigri quidam lapilli in ornamentis placent;
et nigri capilli candidis vultibus etiam decorem augent et gratiam 63

57 Julius Schwietering. “Parzivals Schuld.” Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, vol. 81,
1944, pp. 44–68. S. 54
58 Vgl. Caples, 1975, S.
59 Über den Erzähler in Wolframs Parzival, in: DVjs 45 (1971), 627-667. „parrieren“ ist eine Entlehnung aus dem
Französischen und bedeutet „vermischen“, „zusammensetzen“. Zitiert nach Mallmann, Anja. “Poetologie Und
Erzählerrolle Im ‘Parzival.’” GRIN, 9 Aug. 2006,
https://www.grin.com/document/59265#:~:text=%C3%9Cber%20den%20Erz%C3%A4hler%20in%20Wolframs,
vermischen%E2%80%9C%2C%20%E2%80%9Ezusammensetzen%E2%80%9C.
60 Vgl. Wilson, 1960, S. 97.
61 Kim, Chin-Tai. “Transcendence and Immanence.” Journal of the American Academy of Religion, vol. 55, no.
3, 1987, pp. 537–49. JSTOR.
62 Vgl. Wilson, 1960, S. 95

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Dieser Predigt unterstützt das oben genannte Argument, dass die symbolische Rolle der
Elster auf einen dritten Menschentypus weist, da Bernhard die Steifheit der Farbedialektik
zurückweist, indem er noch eine Dimension in die Gleichung miteinbezieht. Aufgrund ihres
Heidentums werden weder Feirefîz und Belakâne als unmoralisch noch Gahmuret als
moralisch erklärt. Ähnlich dem von Alain de Lille verfassten Gedicht „Omnīs Mundī
Creatura“ stellt Wolfram eine Welt voller Widersprüche vor, wobei die mit Liebe und Gottes
Gnade ausgestatteten Figuren die Lösungen zu diesen Widersprüchen darstellen. 64 „Truth
may be paradoxical, a combination of opposites[...http://www.documentacatholicaomnia.eu/04z/z_1090-
1153__Bernardus_Claraevallensis_Abbas__Sermones_in_Cantica_Canticorum__LT.pdf.html.
64 Vgl. Lille, Alain de. “Omnis Mundi Creatura Poem.” Omnis Mundi Creatura,
https://dick.wursten.be/omnismundi.htm.
65 Wilson, 1960, S. 99f.
66 Bumke, 1991, S. 244

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Zugang seiner Erlösung als eine Transaktion. Aus dieser Ehe bringt Repanse de Schoye einen
Sohn namens Priester Johannes zur Welt. Der Priesterkönig Johannes ist eine Legende aus
dem Mittelalter, in der ein christlicher König über ein enormes Königreich im Fernen Osten
verfügt und ein erhoffter Alliierter gegen die Muslime in die Kreuzzüge war. 67 Diese
Verbindung zwischen der Legende der Gralsfamilie, in die Feirefîz eingeheiratet hat, und der
Legende des Priester Johannes erhebt einen Legitimationsanspruch für beide Legenden. In
ähnlicher Weise werden die Reichtümer des Priester Johannes im Mittelalter stark betont,
was Anklänge an die Prächtigkeit des Feirefîz enthält. Laut Joachim Bumke unterstützt
Feirefîz die Verbreitung des Christentums im Fernen Orient. Bumke geht auf diesen Punkt
hierzu ein: „Bei Wolfram wird die Christianisierung des Orients durch Feirefiz‘ Taufe
eingeleitet[.https://www.britannica.com/topic/Prester-John-legendary-ruler. Accessed 15 December 2022.
68 Bumke, 1991, S. 249

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Wankelmut kurz vor dem Kampf mit Feirefîz. In diesem Sinne ist Feirefîz in der Rolle des
Auslösers der Berufung zum Gralskönig für seinen Halbbruder, da er Parzival ermöglicht, die
von Parzival zuvor gelernten Lehre in die Praxis zu setzen, um das Überwinden seiner
vorherigen Unzulänglichkeiten zu ermöglichen. Darüber hinaus ist Feirefîz eine sehr
symbolische Figur, die philosophische und religiöse Botschaften mit sich in die Geschichte
mitbringt. Beim ersten Durchlesen erkennt man die Verbindung zwischen dem
Elsterngleichnis und dem zweifarbigen Feirefîz. Der versteckte Sinn dieser Beziehung liegt in
ihrem Widerspruch, den man in beiden Brüdern bemerken kann. Der Widerspruch bei
Parzival bezieht sich auf seinen innerlichen religiösen und moralischen Konflikt, während der
Widerspruch bei Feirefîz auf seinem tugendhaften Heidentum beruht. Beide Widersprüche
entsprechen der damaligen christlichen Mystik, wobei Theologen wie z.B. Saint Bernard de
Clairvaux und Alain de Lille die in der Welt gefundenen Widersprüche durch die Auffassung
der ganzen Schöpfung zu erklären versuchten. Wolfram und diese Theologen lehnten die
traditionelle Dialektik zur Farbemetaphorik ab und nutzen Figuren, die „Parrieren“ besitzen,
um dieses Ziel zu erreichen. Außerdem verknüpft Wolfram die Ritterschaft mit der Religion,
indem die symbolische Rolle des Feirefîz die oben genannten religiösen Auffassungen
einbezieht. Feirefîz stellt die Lösung des Paradoxes in dieser Welt dar. Laut H. B. Wilson ist
Gott auch „parrieret“ durch seine Umwandlung in Christ geworden. Feirefîz muss sogar bei
seiner Taufe schwören, an die Überweltlichkeit und das Innewohnen Gottes zu glauben.
Diese christliche Auffassung ist auch im Vergleich zu anderen Religionen ein Widerspruch.
Letztendlich bringt Feirefîz die Parzival-Geschichte nicht zu Ende, sondern beginnt eine neue
Legende. Nachdem er Repanse de Schoye heiratet, geht er nach Indien, um über sein sich im
Orient befindendes christliches Reich zu herrschen. Dies repräsentiert die Verbreitung des
Christentums im Ausland und die Erfüllung des Heilsplans Gottes. Von seiner

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Abstammungslinie kommt später der berühmte Priester Johannes, der anscheinend über
dasselbe Reich in Indien herrschte. Die Erklärung seiner Abstammung begründet die
Legitimität dieser historischen Legende.

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Primärliteratur:
Wolfram. Parzival: Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Band 1: Buch 1-8: mit einem Nachwort.
Übersetzt von Wolfgang Spiewok, Bd. 1, Reclam, 2008.
Wolfram. Parzival: Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Band 2: Buch 9-16: mit einem Nachwort.
Übersetzt von Wolfgang Spiewok, Bd. 2, Reclam, 2008.

Sekundärliteratur:
Bumke, Joachim. “Parzival und Feirefiz - Priester Johannes - Loherangrin: Der offene Schluß des
Parzival von Wolfram von Eschenbach.” Deutsche Vierteljahrsschrift für
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, vol. 65, 1991, pp. 236–64,
https://doi.org/10.1007/BF03396371.
Caples, C. B. “Faces of the Hero: Feirefiz in Wolfram von Eschenbach’s Parzival.” Texas Studies
in Literature and Language, vol. 17, no. 3, Fall 1975, pp. 543–49.
Cessari, Michela Fabrizia. Der Erwählte, das Licht und der Teufel: eine literarhistorisch-
philosophische Studie zur Lichtmetaphorik in Wolframs “Parzival.” Universitätsverlag C.
Winter Heidelberg GmbH, 2000.
Egger, Daniela. wîz und swarzer varwe er schein - Nuancen der Feirefiz-Darstellung. Universität
Wien, 2020.
Famira, Helmut. “Feirefîz, Der Zweier Varwe Was.” Seminar 22, 1986, pp. 267–76.
Freytag, Wiebke. Das Oxymoron Bei Wolfram, Gottfried Und Anderen Dichtern Des Mittelalters.
1972, p. 81.
Funcke, Eberhard W. “Agelstern Mâl (Parz. 748,7): Zur Begegnung Parzivals Mit Dem
Heidnischen Bruder.” Acta Germanica, 1984, p. ??
Gray, Clayton Jr. “The Symbolic Role of Wolfram’s Feirefiz.” The Journal of English and
Germanic Philology, vol. 73, no. 3, July 1974, pp. 363–74.

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Haug, Walter. “Das literaturtheoretische Konzept Wolfram von Eschenbach. Eine neue Lektüre
des >Parzival<-Prologs.” Beiträge zur Geschichte und Sprache der deutschen Literatur, vol.
123, 2001, pp. 211–29, https://doi.org/10.1515/bgsl.2001.2001.123.211.
Kim, Chin-Tai. “Transcendence and Immanence.” Journal of the American Academy of Religion,
vol. 55, no. 3, 1987, pp. 537–49. JSTOR.
Manuela Schotte. Christen, Heiden und der Gral: die Heidendarstellung als Instrument der
Rezeptionslenkung in den mittelhochdeutschen Gralromanen des 13. Jahrhunderts.
Universität Münster, 2008.
Ohlenroth, Derk. “Wil Ich Triuwe Vinden …? Wolframs Widerpart Im ’Parzival’-Prolog.”
Zeitschrift Für Deutsches Altertum Und Deutsche Literatur, vol. 137, no. 1, 2008, pp. 28–56.
JSTOR.
Saint Bernard de Clairvaux. 1090-1153 – Bernardus Claraevallensis Abbas – Sermones in Cantica
Canticorum. http://www.documentacatholicaomnia.eu/04z/z_1090-
1153__Bernardus_Claraevallensis_Abbas__Sermones_in_Cantica_Canticorum__LT.pdf.htm
l.
Schwietering, Julius. “Parzivals Schuld.” Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche
Literatur, vol. 81, 1944, pp. 44–68.
Swinburne, Hilda. “Gahmuret and Feirefiz in Wolfram’s ‘Parzival.’” The Modern Language
Reivew, vol. 51, no. 2, Apr. 1956, pp. 195–202.
Wapnewski, Peter. Wolframs Parzival / Studien zur Religiösität und Form. Heidelberg: C. Winter,
1955.
Wilson, H. B. “The Symbolism of Belakâne and Feirefîz in Wolfram’s Parzival.” German Life and
Letters, vol. 13, no. 2, Jan. 1960, pp. 94–105, https://doi.org/10.1111/j.1468-